Fotos (c) Harald Schulz


Von Friedhelm Schulz, "Südkurier", 16.5.2009

Heinrich Heine wie neu
Thomas Brückner machte es provokant: In früheren Zeiten wären unliebsame Bücher verbrannt worden, heute würden sie einfach von den Lehrplänen gestrichen und irgendwann würde sie niemand mehr kennen - die Klassiker der deutschen Literatur. „Deutschland. Ein Wintermärchen“ schrieb einer von ihnen - Heinrich Heine - vor mehr als 160 Jahren und viele Bezüge zum Heute, viel entspannende Ironie und noch mehr Weisheit stecken in diesem Epos, den Brückner und seine Kollegen vor der Vergessenheit bewahren wollen. Unter dem Titel „Jazz und Lyrik“ luden sie mitten im Mai zu jenem Wintermärchen ein, das jetzt im Jazzkeller in der Villinger Webergasse zu erleben war.

Literarisch steht der Text zweifellos ganz oben auf jeder Liste und musikalisch wurde er von nicht minder hochkarätigen Jazzmusikern begleitet: vom Berliner Gitarrenvirtuosen Uwe Kropinski und dem sächsischen Trommelkünstler Günter „Baby“ Sommer, die beide mit vielen Jazzprojekten dem Publikum in Villingen-Schwenningen gut bekannt sind. Außerdem an Flöten und anderen Blasinstrumenten Katharina Hilpert.

„Heine – wie neu“ hieß der Untertitel des Abends und nicht wenige der Zuhörer hörten vermutlich wirklich Neues, denn wer hat diesen umfangreichen Text schon auswendig parat? Und wer weiß noch, welch provokant-politische Texte, oft mit distanziertem Spott garniert, der in bis heute Deutschland nicht unbedingt geliebte Heine damals verfasste und welch aktuelle Bezüge sie haben? Thomas Brückner verstand es, dem „Wintermärchen“ die nötige Scharfzüngigkeit, aber auch die passende Leichtigkeit zu verleihen und die drei Musiker umspielten nicht nur meisterlich den meisterhaften Text, sie fanden – unter Verwendung einer Vielzahl von Instrumenten – vielfältige klangliche Nuancen und improvisierten zwischendrin immer wieder prächtig drauflos. Auch wenn Heine, nicht zuletzt wegen des Wintermärchens als „vaterlandsloser Geselle“ diffamiert wurde, ist dieser Text eine Liebeserklärung an Deutschland, die bis heute nichts an Aktualität verloren hat. In Verbindung mit den jazzmusikalischen Kunststückchen von Kropinski, Sommer und Hilpert ist der Versepos zudem noch eine sprachlich-musikalische Delikatesse und allemal hörenswert. Wer diesen Abend im Villinger Jazzkeller erlebt hat, wird die Klassiker der deutschen Sprache sicher wieder öfter aus dem Bücherregal ziehen – falls sie dort zu finden sein sollten....